Zwölf kalte Stunden im Stockholmer Schärengarten bei der ÖtillÖ World Championship

05.09.2019

Im Schatten von Triathlon gedeihen ja so einige Multi-Ausdauersportarten, sei es Duathlon, Xterra Cross-Triathlon oder Biathle. Ein sehr eigenwilliger Sport kommt da aus Skandinavien und erhält weltweit großen Zulauf: Swimrun enstand aus einer feucht-fröhlichen Wette an der Bar des Wirtshaus auf der Insel Utö, und 2002 versuchten die ersten Zweiterteams von Utö nach Sandhamn den Stockholmer Schärengarten schwimmend und laufend zu durchqueren, also Ö till Ö (von Insel zu Insel) über insgesamt 65km Laufen und 10km Schwimmen. Seit 2006 ist der Ötillö ein "ordentlicher" Wettkampf und seit 2014 die Swimrun WM, für die man sich ähnlich zu Ironman qualifizieren muss.

Beim ersten deutschen Rennen der Ötillö-Macher in McPomm vor 3 Jahren starteten nicht nur Philipp Löffler und Carsten Müller vom TSV Jahn, sondern auch Stefans Bruder Alexander aus Aschaffenburg. Das Wetter Anfang November war grausig, das Wasser unfassbar kalt, und obendrein wechselten die Teams auf 34km Laufen und 7,5km Schwimmen mehrmals zwischen den beiden Sportarten, so dass direkt im Neo gejoggt und mit Schuhen und Paddle+Pullbuoy geschwommen wurde - wie selten blöd klingt das bitte für gestandene Triathleten.

Trotzdem war Alexander hellauf begeistert, und konnte Stefan dann 2017 zum Ötillö Isles of Scilly nach England locken, wo beide mit einem Platz am Ende des vorderen Drittels debütierten. Die Idee für eine WM-Quali war geboren, und überraschenderweise schafften sie es auch schon in der Saison 2018 die nötigen Punkte für einen Slot zu sammeln. Bis zum Startschuss im Sonnenaufgang auf der Insel Sandhamn war es aber noch ein langer Weg: zuerst entschied sich Stefan für einen Skiunfall und 3 Monate Trainingspause, und nach vielen Lauf- und Schwimmkilometern und einem gemeinsamen Test-Rennen in Bologna kam schliedßlich der Super-GAU: 8 Tage vor dem Wettkampf bekam Alexander einen schweren Magen-Darm-Virus... also alles umsonst!?!

Nicht ganz, denn ein Starter darf getauscht werden, und die Rettung kam mit Torsten Demke vom Exathlon München - auch Triathlet, Swimrunner und ein Kollege von Stefan - der bereit war sich mit einer Woche Vorlauf in das Abenteuer zu stürzen. Und so ging es am Sonntag um 13:00 für alle Teilnehmer mit dem Bus von Stockholm ins Hotel Djurönäset, einer Art kanadischer Lodge am Rand des Schärengartens. Das Race-Briefing der beiden Direktoren Mats und Michael war dann schon aufregend, nicht nur dass man beim Anblick einiger Athleten und Athletinnen eh schon Angst bekam, es wurden auch noch mehrere Ex-Olympioniken namentlich hervorgehoben - also ganz die richtige Kragenweite :) Die Wettervorhersage folgte dem Motto "Nach dem Rennen werden wir wissen wie das Wetter war", aber die angesagten 15-18° Wasser und 18-20° Lufttemperatur klangen für Swimrunner nicht beunruhigend.
Auf dem Zimmer wurde noch fix die Ausrüstung und Gels auf die Taschen im Neoprenanzug verteilt, und dann ein kurzes Nickerchen, denn um 3:40 war schon Frühstück und 4:45 die Abfahrt der Fähren zum Start nach Sandhamn, wo während der Startaufstellung zwar der Regen aufhörte, aber noch bedrohlich dunkle Wolken über den Schären hingen.

Der Startschuss erfolgte pünktlich am Montag um 6:00, und nach kurzem Einlaufen auf Sandhamn kam gleich das erste Schwimmen mit 1700m durch dunkles und aufgepeitschtes Ostseewasser, mit einem Auge immer das Stroboskop auf der Zielinsel im Blick, mit dem anderen Auge den Teampartner, der regelkonform nie weiter als 10m entfernt sein soll - egal ob an Land oder im Wasser.

Auf Vindalsö begrüßte die beiden dann der erste 800m "Lauf"abschnitt, und alle Warnungen zur Schwierigkeit der Strecke bewahrheiteten sich: moosiger Fels glatt wie Eis, dazwischen Schlamm, Kies und Pfützen, und am Ende der Insel wieder in die kalten Wellen und auf der nächsten Insel dann ein 4km langer Wechsel zwischen schmalen Waldwegen, Felskletterpassagen und matschigen Wiesen und immer die Entscheidung ob das vorauslaufende Team überholt wird oder einfach gewartet wird bis einer ausrutscht oder stolpert. Die Hoffnung auf einfachere Laufstrecken erfüllte sich erst auf Runmarö, aber auch dort ging es nach ein paar Kilometern über kleine Straßen wieder zurück in den Wald und über Stock und Stein, und so blieb das Rennen auch überwiegend bis nach Utö.

Das Wetter besserte sich zwar langsam und die Sonne war öfter zu sehen, aber der auffrischende Wind mit 4bft machte vor allem den langen 1400m Schwimmabschnitt in der Rennmitte sehr mühsam und sorgte beim Laufen für mehr Kühlung als nötig. Erstaunlicherweise zog sich das Feld im Rennverlauf gefühlt wenig auseinander, die beiden waren immer noch ständig von mehreren Teams umgeben und nur die Reihenfolge wurde beim Schwimmen, Laufen und an den etwa im Stundentakt auftauchenden Verpflegungsstellen durchgewechselt. Die Strecke ging in der tiefstehenden Spätsommersonne weiter über felsige Küstenabschnitte, schmale Waldwegen oder über Wiesen und Weiden mit typischen roten Holzhäusern. Schließlich erreichten Stefan und Torsten nach 8h hinter einem schmalen Kanal von 300m die Insel Ornö mit dem langen 20km Laufabschnitt, für den sie einen gleichmäßigen Lauf geplant hatten - da war die Rechnung aber ohne die Rennstrecke gemacht worden, denn nach dem ersten Kilometer auf gutem Weg ging es bergauf und wieder kilometerlang über Felsen und schmale Waldwege, bevor endlich Schotterstraße und dann ein paar Kilometer Asphaltstraße gelaufen werden durften.

Leider kamen bei Stefan und Torsten zu dieser Zeit die ersten Ausfallerscheinungen mit Knieschmerzen und die Kälte zerrte an den letzten Kräften. Die Cut-Off Zeit war in weiter Ferne und so ging es nun überwiegend gehend über die verbliebenen Inseln, mit ein paar kurzen und einem extrem welligen 350m Schwimmen, bis schließlich die letzten 3km Laufstrecke ins Ziel auf Utö erreicht waren. Selbstverständlich ging es zum Ziel im Utö Värdshus nochmal einen kleinen Berg hinauf, aber nach 12:29 waren die beiden endgültig im Ziel und vor allem froh darüber dass es zu Ende war. Im letzten Sonnenlicht gab es dann ein phantastisches Finisherbuffet, bevor die beiden sich mit einem kanadischen Team eine Holzhütte teilen durften für die dringend nötige Nachtruhe - auch wenn die dank Muskelkater und zahlloser Schrammen wenig erholsam war.

Die Ötillö World Championship ist wirlich der ultimative Swimrun, nicht nur dass man am "Geburtsort" dieses Sportes unterwegs ist, sondern die lange und technisch fordernde Strecke ist eine deutlich größere Herausforderung als andere Swimruns. Gleichzeitig treffen sich hier die besten Teams dieses noch jungen und überschaubaren Sports, und man trifft zahlreiche bekannte Gesichter von den Qualifikationsrennen wieder und lernt auch neue Sportler aus unterschiedlichen Ländern kennen - auch wenn der Sport aktuell noch deutlich von Schweden dominiert wird. Das Rennen selbst fordert starke Freiwasserschwimmer, aber viel mehr noch gute und angstfreie Trailläufer und zuletzt eine gehörige Portion mentaler Stärke um die Kälte und die Schwierigkeiten der Strecke zu überstehen - ach, und bei 46 Übergängen lohnt es sich auch den Wechsel zu üben.

Ein riesiges Dankeschön soll hier noch an Stefan Sponer von HEAD rausgehen, der nicht nur zahllose Teams bei der WM unterstützt hat - auch unser "HEAD Team Oktoberfest", sondern vor allem mit unbändiger Leidenschaft den ganzen Tag über entlang der Strecke die Teams angefeuert hat!

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